Just Another Ant
Thursday, 26. September 2002
Christian Petzolds "Die innere Sicherheit"

O-Töne Christian Petzolds aus einem Interview mit Stefan Grissemann (in "Die Presse" 21.4.2001):

"[...]Diese Lust am offenen Gefühl hat mich angewidert: Method-acting-Kino wollte ich nie. Mir war stets das Nachbeben wichtiger: die Zeit nach dem Schock, wenn das ganze Ausmaß der Katastrophe, des Leids noch mal sichtbar wird, ohne direkt da zu sein."

"In Nicholas Rays Johnny Guitar hat die Bande ihr Versteck hinter einem Wasserfall, wo sie Zeit totschlagen muß. Solche Momente ohne Aktion, wo jemand einfach nur wartet, sind im amerikanischen Kino ja äußerst selten. Und da sieht man nun einen der Männer ein Buch lesen. Das hab' ich nie zuvor gesehen. Film-Gangster können Autos fahren und Waffen auseinandernehmen, aber daß sie Bücher lesen, ist unerhört. Meine Helden lesen auch Bücher, und gemäß der Logik Hollywoods sind sie keine herkömmlichen Gangster: Wären sie das, so würden sie die Geschichte nicht in die Hand nehmen, gewaltsam abkürzen wollen - Terroristen, könnte man sagen, wollen das. Im Grunde sind Gangster die schlimmsten Spießer, das bestätigt einem jeder Rechtsanwalt. Sie wollen nur, was sich auch die Kandidaten bei Günther Jauch wünschen: einen Pool, Ruhe, klare Verhältnisse. Wenn ein Mafioso an die Macht kommt, hat er sofort die höchsten Zäune und die besten Überwachungskameras. Als ich sechzehn war, im deutschen Herbst, habe ich ja nicht, wie die Generation der RAF, unter Nazi-Eltern gelitten, sondern nur unter schwachen Eltern, die sich weder zum Faschismus bekannten noch zur sozialliberalen Koalition."

"Die Terroristen haben damals eine Kraftlinie durch die BRD gezogen. Später, in den Jahren Helmut Kohls, waren dann alle Diskurse und alle Theorie plötzlich erledigt. Mir kam die ganze Linke vor wie eine einzige entsetzliche historische Niederlage. So wollte ich einen Film machen, der ein Nachbeben dieser Niederlage ist."

"Der Grundgedanke war: alles, was Geschichte ist, muß sich in den Szenen abbilden, darf aber nicht benannt werden. Ich mag Kino nicht, das Geschichte dialogisch aufarbeitet, da ist man dann ganz schnell in diesem bundesdeutschen Semi-Dokumentarismus, wo sich Leute so unterhalten: ,Warum bist'n du so blaß?' - ,Du, ich war doch im Gefängnis'. Ich zeige eine durchritualisierte Familie, anders kann sie im Untergrund nicht funktionieren: Ihr wichtigster Ort ist der Küchentisch, dort werden die Konferenzen abgehalten. Sie ist in größter Gefahr, von innen her zu zerfallen - und doch fängt sie und faßt sie sich immer wieder an diesem Küchentisch."

Im Sofa Blogger wurde über "Die innere Sicherheit" diskutiert. [Le Sofa Blogger Petzold]

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Scorseses "After Hours"

...heute um 20:15 auf 3sat.

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Zwei Ästhetiken

"Als der Film ["King of Comedy"] auf dem Festival in Cannes am Eröffnungsabend gezeigt wurde, ging ich mit Sergio Leone hinter die Bühne, und er schaute mich an und sagte: 'Martin, das ist Dein reifster Flm.' Ich weiß nicht, ob das seine Art war, mir zu sagen, daß er ihn nicht mochte. Ich vermute, ich kam darauf, weil meine Freunde und ich über langsame Filme, bei denen die Kamera sich nicht bewegt, jahrelang denselben Witz machten: sie verrieten 'Reife'. In der Village Voice habe ich einmal gelesen, Jim Jarmusch, der Regisseur von STRANGER THAN PARADISE und DOWN BY LAW, habe so etwas gesagt wie: 'Es interessiert mich nicht, die Leute beim Schopf zu packen und ihnen zu sagen, wo sie hinschauen sollen.' Also, ich will, daß sie genauso sehen wie ich. Die Straße hinuntergehen, sich schnell umsehen, Fahrten, Schwenks, Zooms, Schnitt und alle diese Dinge. Ich mag es, wenn zwei Bilder zusammenkommen und sich bewegen. Ich nehme an, so etwas gilt vielleicht nicht als 'reif', aber mir macht es Spaß."
(Martin Scorsese in "Scorsese über Scorsese" hrsg. von David Thompson/Ian Christie. Verlag der Autoren, 1996)

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